Ich hasse aufstehen. Morgens. Früh. Sehr früh.
Aber ich weiß: Manche Dinge sind es wirklich wert.
Was du als Erstes in Vietnam bemerkst: Es wird unfassbar früh hell. Etwas bei Sonnenaufgang zu sehen, ist für mich damit ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber quäle ich mich trotzdem früh morgens aus dem bequemen Bett, dann habe ich wenigstens die Chance darauf, als Erste irgendwo zu sein.
Also quäle ich mich mal wieder. In einer perfekten Welt wäre es draußen noch dunkel. In meiner ist es natürlich schon hell, denn früher als 6 Uhr kann ich diesen verdammten Wecker nicht stellen.
Ich tappe nach draußen auf meinen Balkon, vor dem direkt ein kleiner Fluss träge vorbeifließt. Ich strecke mich, atme die warme Luft ein und freue mich – wie eigentlich jeden Tag – dass ich in Vietnam sein darf!
Kurzer Badbesuch, die Wasserflaschen aufgefüllt und ab auf den Roller Richtung Hang Múa Aussichtspunkt.
Kurz nach 7 bin ich da. Obwohl offizieller Einlass schon ab 6 Uhr ist, bin ich eine der ersten auf dem Parkplatz. Yeah – Mission accomplished!
Na ja, zumindest die erste Mission. Denn vor mir liegen 500 Stufen, die ich überwinden muss. Meine liebste Tätigkeit. Nicht.
Aber bevor mein Hirn richtig wach wird und mich 500 Stufen lang anschreit, was für ein idiotischer Plan das war, beginne ich den Aufstieg.
Die Sonne steigt höher, die Temperaturen auch. Schon nach wenigen Schritten bin ich klatschnass. Aber ich gebe nicht auf.
Meine Taktik für 500 Stufen? Sie der Breite nach ablaufen, von rechts nach links. Dauert länger, geht aber besser. Zumindest für mich.
Bis zur ersten Verschnaufpause lasse ich mir aber nicht besonders viel Zeit, denn der Ausblick ist jetzt schon fantastisch!
Ein Blick auf meine Umgebung und da ist dieses Gefühl wieder. Das, was ich in Vietnam immer spüre. Hey, wie krass wunderschön kann es eigentlich noch werden? Die Felsen um mich herum sind mit grünen Büschen gesprenkelt und ragen weit in den diesigen Himmel.
Ich laufe weiter.
Stufe um Stufe und der Ausblick wird immer mehr „Wow!“. Mein Shirt klebt an mir, aber daran habe ich mich bereits gewöhnt. Wer in den Sommermonaten durch Vietnam reist, merkt schnell: Trocken bist du eigentlich nie. Vielleicht in deinem Hotelzimmer mit Klimaanlage.
Ich halte wieder an. Schaue auf die gefluteten Reisfelder herunter, blicke auf den Zwillingsberg gegenüber, den ich ebenfalls besteigen will. Die helle Treppe im Kontrast zum dunklen Karstfelsen. Ein wahnsinnig schöner Anblick.
So sieht es hier also wirklich aus. Ich habe so viele Bilder von genau diesem Felsen gesehen. Die vielen Leute bewundert, die wirklich zum Sonnenaufgang hier waren. Bewundernswert, ja. Aber auch ohne direkte Sonne und mit diesigem Himmel ist der Blick schöner als auf jeder Postkarte.
Denn ich genieße nicht nur die Aussicht, ich bin wirklich hier! Ich atme die warme Luft, genieße die Stille, bin einfach nur da.
Ich überwinde die letzten Stufen, wische mir über meine nasse Stirn und bin endlich am vorläufigen Ziel. Während ich auf der einen Seite auf die Reisfelder gucken kann, schlängelt sich auf der anderen Seite der Fluss vorbei.
Daneben erheben sich weitere Felsen, soweit ich gucken kann. Die trockene Halong Bucht, so wird die Landschaft um Tam Coc auch genannt, liegt vor mir – und sie ist wie viele sagen. Wunderschön. Grün. Fast schöner als die echte Halong Bucht, obwohl man beide Gebiete nicht miteinander vergleichen kann.
Ich sitze einfach nur da und weiß, dass die Bilder nicht im Ansatz einfangen können, was ich sehe.
Die Weite. Die Felsen reihen sich aneinander, aber ich sehe nicht, wo sie aufhören.
Das Grün. Es ist so krass leuchtend, dass ich fast ins Zweifeln komme. Kann Natur so grün sein?
Der Kontrast. Zwischen den harten, dunklen Felsen und den Bäumen und Büschen, die ihnen trotzen.
Doch es wird Zeit für den nächsten Aufstieg. Zuerst muss ich wieder einige Stufen herunter. Mir kommen die ersten Besucher entgegen. Alle schwitzen, alle haben einen hochroten Kopf. Aber allen kann ich den gleichen Gedanken ansehen: Wow, wie schön kann eine Landschaft sein!
Ich steige wieder auf. Stufe um Stufe um Stufe. Langsam, ich lasse mir Zeit. Keine Ahnung, ob der Weg das Ziel ist, wie viele sagen. Aber ich kann nicht aufhören, nach rechts und links zu gucken.
Die kleinen Bäume, die auf den Felsspitzen wachsen. Die Pagoden, die in die Höhe ragen. Und immer wieder die Reisfelder. Grün und in voller Blüte. Geerntet und daher braun. Geflutet und für die nächste Blühphase bereit.
Ich komme an. Verschwitzt, keuchend, glücklich. Dieser Anblick ist alle Mühen wert. Sogar noch mehr.
Heute ist der Himmel diesig, die Sonne scheint durch eine dünne Wolkendecke. Das „perfekte“ Bild werde ich also nicht machen. Doch das macht mir nichts.
Denn viel wichtiger ist wie immer das Gefühl. Ich bin wirklich hier! Ich habe eine weitere Erinnerung, die ich für immer bei mir habe.
Langsam steige ich wieder herunter. Ich freue mich auf eine Pause im Schatten, einen eiskalten, vietnamesischen Kaffee. Ich freue mich, an der Treppe zu sitzen und die noch frischen Gesichter der neuen Besucher:innen zu betrachten, die schon bald schnaufen und schwitzen werden, wie ich gerade.
Ich freue mich, hier zu sein. Jetzt. Heute. Und ich bleibe noch eine Weile.