Paradise Cave – hast du vor lauter Tourismus diesen Namen überhaupt noch verdient?
Warm spüre ich die Sonnenstrahlen auf dem Rücken an diesem Vormittag im Phong Nha Ke Bang National Park in Vietnam. Ausnahmsweise ein wunderschöner Tag in dieser sonst eher tristen Woche im Februar.
Vor mir liegt der Eingang zur Paradise Cave. So viel habe ich darüber gelesen, die phänomenalen Bilder bestaunt und mich immer wieder gefragt: Wieviel davon stimmt und wieviel ist die gehübschte Internet-Wahrheit?
Sieht so aus, als würde ich das endlich herausfinden. Und doch ist mir ziemlich mulmig. Denn mehr als ein großes Loch im Felsen ist der Eingang nicht. Mein Blick fällt auf Stufen. Viele Stufen. Ziemlich steil nach unten.
Ein ungutes Gefühl befällt mich. Das Kopfkino spielt dazu den passenden Film: Enge Gänge. Tief unter der Erde. Kein Sonnenlicht. Wenig Luft und das Gefühl, eingeschlossen zu sein. Schnell mal raus ist nicht.
Energisch schüttele ich den Kopf. Heute nicht, lieber Kopf. Heute bestätige ich dir – wie so oft – dass du wieder unrecht hast. Es wird nicht eng und nicht dunkel und Luft zum Atmen wird es genug geben. Oder?
Ich blicke mich nochmal um, lasse die Sonne kurz mein Gesicht berühren und wage den ersten Schritt in die Paradise Cave.
Langsam steige ich einige Treppen ins Dunkele hinab. Ich sehe massive Steinwände, meine Hand ertastet ein stabiles Holzgeländer. Ich blicke auf meine blauen Turnschuhe und die Holzstufen. Sehen vertrauensvoll aus. Und breit. Bisher kein Grund zur Sorge.
Der erste Absatz ist erreicht, aber ich traue mich nicht, den Blick zu heben. Fast stur laufe ich nach links und nehme den nächsten Treppenabschnitt in Angriff.
„Wo sind eigentlich die vielen Touristen?“ schießt es mir durch den Kopf. Die Paradise Cave ist kein Geheimnis und damit ein Höhepunkt des Nationalparks. Und besonders früh bin ich auch nicht hier. Aber außer einigen wenigen, die schon mutig vor mir die weiteren Stufen hinabsteigen, ist mir noch niemand begegnet. Sollte mich das nervös machen?
Ich erreiche den nächsten Absatz. Wie lange will ich eigentlich noch wie hypnotisiert auf den Boden starren? Ich lehne mich mit dem Rücken an das Geländer, suche etwas Halt, vielleicht auch Stabilität für den aufgeregten Kopf, der immer wieder schreit: Viel zu tief! Wir sind viel zu tief unter der Erde!
Es reicht! Ich reise nicht um die halbe Welt, um mich dann selbst auszubremsen. Ein letzter tiefer Atemzug und ich blicke auf.
Der Kopf verstummt. Die Umgebung auch.
Ich höre nur meine Atemzüge, bemüht die Regelmäßigkeit nicht zu verlieren. Wie von selbst laufen meine Füße einige Schritte vorwärts, mein Rücken verlässt den sicheren Halt des Geländers, meine Hände greifen nach vorne, ich spüre das Holz nun vor mir.
Das ist es also.
Meine Augen folgen dem Treppenverlauf, der zu meiner Rechten immer tiefer in die Höhle dringt. Die Lampen am unteren Geländer weisen den Weg, dessen Ende von hier oben nicht zu sehen ist.
Ich muss grinsen. So Kopf, was ist nun? Eng, dunkel, kaum Luft zum Atmen – sicher, dass du das immer noch glauben willst? Doch er schweigt, das Kino scheint für heute geschlossen.
Vor mir liegt die Paradise Cave – DIE Sensation und ich muss zugeben: Ich sehe sensationelles.
Ich weiß nicht, wie groß der Raum vor mir ist, aber von klein und eng fehlt hier jede Spur. Die Stalaktiten hängen in riesigen Felsformationen von der Decke, erreichen in einer erstaunlichen Dicke fast den Boden, während sich die Stalagmiten ihren Weg umgekehrt zur Decke bahnen. Aber nicht so dünn und schmal, wie ich es von Bildern kenne. Die Größenverhältnisse sind beeindruckend.
Langsam wage mich immer weiter und tiefer in die Höhle rein und habe doch nicht das Gefühl, tief im Inneren der Erde zu sein.
Endlich haben die Stufen ein Ende und ich blicke zur Decke. Die ist doch mindestens 100 Meter über mir, oder nicht?
Vor mir liegt der öffentlich zugängliche Weg, einen Kilometer darf ich den Holzplanken folgen und weiß nicht, ob ich links oder rechts schauen soll. Die Lichtspiele sind überwältigend. Nein, die vielen Bilder haben nicht gelogen, auch in Wirklichkeit sieht es hier so aus.
Ich lasse mir Zeit, anders ist es auch nicht möglich, zu viel Naturschauspiel ist um mich herum. Ich bleibe oft stehen, suche das Geländer und das Gefühl von Holz, das mich daran erinnert: Ich träume nicht!
Wieder hebe ich die Kamera und mache das nächste Bild, das Geräusch des Auslösers stört die Stille ungemein. Denn nein, Touristenmassen sind hier nicht.
Vereinzelte Spaziergänger, alle langsam und ehrfürchtig still, niemand will die Stille stören. Nur ein leises Plätschern vereinzelter Tropfen ist zu hören. Ich komme an kleinen Pfützen vorbei, die die Lichter einfangen und wieder spiegeln, das Gefühl der Größe noch verstärken.
Viel zu schnell ist der öffentliche Weg der Paradise Cave zu Ende und ich zur Umkehr gezwungen. Ich will es hinauszögern, will nicht zurück in die eigentlich schwer vermisste Sonne. Lieber will ich hier noch etwas bleiben. Und muss wieder Grinsen. Was sagst du jetzt, Kopfkino – bleibst du auch?
Ich gönne mir noch eine Pause, schaue auf das Display meiner Kamera und bin erstaunt. Wie einfach ich diese Schönheit einfangen kann, wie stark die Farben der Felsen zu sehen sind, die Spiegelungen im ganz ruhigen Wasser. Und wie wenig Menschen die Idylle stören.
Ich steige langsam Stufe für Stufe nach oben, sehe in die Gesichter der wenigen Menschen, die mir entgegen kommen, sehe die Überraschung. Ich kann sie nachvollziehen.
Immer heller scheint das Licht in die Höhle, nur einige Meter trennen mich vom Ausgang. Ich bleibe stehen, blicke zurück nach unten und lasse meine Augen den Lichtern des Weges noch einmal folgen.
Dass ich hier fast alleine war, liegt sicher nicht an der Höhle selbst, denn die Schönheit der Paradise Cave ist bekannt. Vielleicht liegt es an der Reisezeit, es ist Februar und das Wetter in diesem Teil Vietnams noch nicht warm und selten sonnig. Vielleicht liegt es auch am Wochentag oder vielleicht habe ich heute auch einfach nur Glück. Nebensaison scheint sich zu lohnen.
„Hörst du?“ rufe ich dem Kopfkino stumm zu. „Das ist der Film, den ich Zukunft sehen will!“
Dann wende ich mich ab, blicke zu den Sonnenstrahlen, die auf mich warten und kann die nächsten Schönheiten Vietnams kaum erwarten.
Hattest du auch so viel Glück wie ich und die Paradise Cave im Phong Nha Ke Bang Nationalpark fast für dich alleine? Ich freue mich auf deinen Kommentar.